Seit 1994 lichtet Spencer Tunick nackte Massen ab. Nun war Grossbritannien mit 3200 Nackten dran. Einzige Änderung zu vorangegangenen Inszenierungen: Die kleidungslosen Menschen waren blau und grün geschminkt – «Avatar» liess grüssen. Die Medienexpertin Dr. Regula Stämpfli kommentiert für den Klein Report, weshalb diese Aktionen viel mehr als nur eine Fotoansammlung sind. Aus den Bildwissenschaften wissen wir, dass nicht die Abbildung die Botschaft, sondern die Zusammensetzung, der Kontext, Ort und Inszenierungsform das Entscheidende an Bildern sind. Wie in der Physik die Unschärferelation, ist in der Medientheorie vor allem auch das interessant, was auf ersten Blick nicht erkennbar ist und doch längst entdeckt werden sollte. Medien- und Kunstbilder kritisch zu betrachten, hilft zu erkennen, was die Welt in ihrem medialen und politischen Innersten zusammenhält. Spencer Tunick fotografiert immer Massen-Nackte. Früher konnte er dies nur mit der Genehmigung der Behörden tun (oder ganz schnell seine Kamera einpacken), heute ist er gefragter Fotokünstler und Tourismuspromoter. Menschen sind bei Spencer Tunick zum Material geworden: Kann der einzelne nackte Mensch beim Wandern noch verhaftet werden, sind Tausende von nackten Menschen eine
Donnerstag 14.07.2016
gute PR-Aktion. In der nackten Masse verliert der Mensch seine Menschlichkeit, denn er ist in Tunicks Bild ein kleiner Mosaikstein innerhalb der Gesamtinszenierung. Das Verschwinden des Einzelnen zugunsten der Masse ist phänomenologisch gedeutet ein wichtiger Hinweis zur gegenwärtigen Medien- und Kunstwelt, letztlich auch ein Kommentar zu herrschenden Demokratieverständnissen. Die Bilder Tunicks zeigen auch die Warenwerdung der Menschen sehr deutlich: Nackte Menschen haben keine Individualität, sie sind nur Kilo-, Jahrgang- und Zentimeterverhältnis. Hinter dem Massenkörper unterscheiden sich einzelne Menschen kaum... Sie verstummen bildlich (zeigen ja nur ihre Körper) und real (Mehrheiten zählen).
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@laStaempfli
Regula Stämpfli: Nackte Medientheorie oder was auf den ersten Blick nicht erkennbar ist
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© Georg Boscher